Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Bund aktiver Demokraten e.V. Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Bund aktiver Demokraten e.V.

Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Bund aktiver Demokraten e.V. - Das wahre Gesicht des Nationalsozialismus: Die Aufklärungsarbeit des Reichsbanners in der Weimarer Republik (Teil 1)

24.09.2020
Das wahre Gesicht des Nationalsozialismus

Die Aufklärungsarbeit des Reichsbanners in der Weimarer Republik (Teil 1)

von Marlon Bünck, Mitglied des Bundesvorstandes

Ein wichtiger Teil der Arbeit des Reichsbanners in der Weimarer Republik war die Aufklärungsarbeit über die Feinde der Republik. Dabei standen sowohl Kommunisten als auch Nationalsozialisten im Fokus. Als die NSDAP immer mehr Zuwachs erhielt und die Republik aufgrund der Weltwirtschaftskrise eine politische Polarisierung erlebte, sah sich das Reichsbanner in der Pflicht gegenzuhalten. Entstanden ist dabei die Schrift „Das wahre Gesicht des Nationalsozialismus“, die 1929 vom Bundesvorstand veröffentlicht und in insgesamt vier Auflagen vorgelegt wurde. Ein beeindruckendes Dokument, in das es sich auch heute noch lohnt einen Blick zu werfen. Denn es macht eindringlich deutlich, wie umfangreich die Kenntnisse des Reichsbanners über die Agitation und Propaganda der Nationalsozialisten waren.

1929 war ein ereignisreiches und gleichzeitig für die Weimarer Republik tragisches Jahr: Massenarbeitslosigkeit, Weltwirtschaftskrise, immer stärker werdende Nationalsozialisten und eine zerstrittene Reichsregierung, die mit ihrem Auseinanderbrechen im folgenden Jahr bereits das Ende von parlamentarischen Regierungsmehrheiten im Reichstag einläutete. Auch die Gewalt auf der Straße nahm immer weiter zu. Im Jahr 1929 wissen wir von mindestens zwei Reichsbanner-Kameraden aus Frankfurt am Main, die von den Nationalsozialisten durch Messerangriffe ermordet wurden, Kamerad Heinrich Koch und Kamerad Heinrich Schmidt.[1]

In dieser politisch aufgeheizten Zeit und angesichts der immer stärkeren Bedrohung durch die NSDAP veröffentlichte der Bundesvorstand 1929 die Schrift „Das wahre Gesicht des Nationalsozialismus“. Sie zeigt auf der Titelseite einen Arm mit schwarz-rot-goldener Reichsbanner-Binde, die einer dunklen Gestalt mit Hakenkreuz auf der Stirn eine freundlich aussehende Maske vom Gesicht reißt. Die sich als politisch friedfertig gerierenden Nationalsozialisten werden sprichwörtlich demaskiert und ihre Propaganda entlarvt, ihr wahres Gesicht entblößt. Denn jene Nazi-Propaganda lief in den Krisenjahren immer stärker an und wurde durch Massenveranstaltungen, unzählige geschulte Agitatoren und Plakatkampagnen immer größer.

„1928 verfügte die NSDAP über reichsweit 300 Redner, die in diesem Jahr allein 20.000 Veranstaltungen bestritten. Noch im selben Jahr wurde eine zentrale Rednerschule geschaffen, mit deren Hilfe es in den nächsten beiden Jahren gelang, die Zahl der Redner bis zur Reichstagswahl 1930 auf etwa tausend zu verdreifachen. Seither führte die NSDAP, was die Versammlungsdichte betraf, die Statistik vor den Kommunisten und Sozialdemokraten an. Gerade in der Provinz traten nationalsozialistische Redner auf.“[2]

Immer stärker geriet die SPD zum zentralen Feindbild der Agitation, viele Kampagnen der Nationalsozialisten richteten sich gezielt gegen die Sozialdemokratie und ihre Unterstützer. In den folgenden vier Jahren starben mindestens 35 Reichsbanner-Kameraden durch die Gewalt der Nationalsozialisten, die meisten von ihnen wurden erschossen.[3]

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Das Reichsbanner reagiert

Durch die steigende Gewalt geprägt, verfasst der damalige Bundesvorsitzende Otto Hörsing ein bewegendes und flammendes Vorwort in der Schrift. Den Nationalsozialismus bezeichnet er wiederholt als „Volksseuche[4] und warnt eindringlich vor der Gefahr der nationalsozialistischen Ideologie, würde sie in der von der Wirtschaftskrise betroffenen Bevölkerung Unterstützung finden. Ausdrücklich geht er auf die Lage im faschistischen Italien ein, bei dessen Scheinwahlen 1929 nur faschistische Parteien zugelassen waren. Hörsing sieht das Reichsbanner als Garant für die Wahrung und Verteidigung der Republik, was er auch als machtpolitische Aufgabe versteht.

„Diese machtpolitische Aufgabe haben wir in Angriff genommen, mit dem organisatorischen Zusammenschluss im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, wir arbeiten an ihr Tag für Tag mit dem Aufruf zur Stärkung aller freiheitlichen politischen und gewerkschaftlichen Organisationen. […] Der Faschismus – und der deutsche Nationalsozialismus in allen seinen Schattierungen, verkörpert insbesondere in der sogenannten ‚Arbeiterpartei‘, ist nichts anderes als eine vergrößerte Form dieses undeutschen Faschismus – hat sich mit gutem Grunde die geistig noch nicht selbstständig gewordenen, für den demokratischen Gedanken trotz 1848, trotz 1918 immer noch nicht gewonnen Teile des Kleinbürgertums in Stadt und Land als Beute und Machtgrundlage außersehen.“[5]

Im Folgenden besteht die Schrift aus zwei Teilen. Im ersten Teil wird die Entstehung, die Organisationstruktur und das Programm der NSDAP behandelt. Dabei wird detailliert auf einzelne Programmpunkte, wie die Außenpolitik, Stellung zum Staat oder die völkische Ideologie eingegangen. Im zweiten Teil wird die politische Praxis der Nationalsozialisten behandelt, ebenfalls mit großer Detailtiefe werden die Agitation und die Narrative der Nazis dargelegt sowie aufgedeckt. Fest steht: Das Reichsbanner verfügte über tiefe und breite Kenntnisse der Propaganda der Nationalsozialisten und wollte diese Kenntnisse allen Vereinsgliederungen zur Verfügung stellen. Es ist nachgeschichtlich betrachtet beeindruckend, wie umfangreich bekannt war, was die NSDAP vorhatte und wie durchschaubar ihre Argumente im Grunde schon damals waren.

Vor allem am „25-Punkte-Programm“, dem im München 1920 beschlossenen Parteiprogramm der NSDAP, arbeitet sich das Reichsbanner ab. Aus heutiger Sicht würde man diese Arbeit als einen „Faktencheck“ bezeichnen und ähnlich war sie damals bereits aufgebaut. So werden den Thesen der Nationalsozialisten unter anderem entsprechende Artikel der Weimarer Verfassung gegenübergestellt. Der Nationalsozialismus wird, wie der Faschismus in Italien, als „antisozialistisch, antidemokratisch, antiliberal und gar antikonservativ“[6] beschrieben, zudem dessen Antisemitismus gebrandmarkt[7] und vor den Forderungen der NSDAP gewarnt. Die eindrückliche Warnung des Reichsbanners, dass die Nationalsozialisten das Staatsbürgerrecht gegen politische Gegner anwenden wollen, bewahrheitete sich tragischer Weise ab 1933. Nicht nur Kameraden in Deutschland waren betroffen, sondern beispielsweise auch Kameraden in den Vereinigten Staaten (siehe hierzu: „Von Chicago bis Miami – das Reichsbanner in den USA“).

„Nach dem nationalsozialistischen Programm ist nicht, wie in allen Kulturstaaten und selbstverständlich auch in Deutschland, jeder Staatsbürger, der im Lande als Deutscher geboren ist oder die Staatsangehörigkeit durch Aufnahme erlangt hat. Vielmehr soll das Staatsbürgerrecht auf ‚Verleihung‘ nach einer Prüfung beruhen! […] Das bedeutet, dass die Zahl derjenigen, die an Wahlen oder an Staatsgeschäften dürfen, beliebig eingeschränkt werden kann; eine Minderheit wird das entrechtete Volk regieren, also Diktatur. Bei den Juden als angeblich ‚Fremdrassigen‘ macht man den Anfang mit der Entrechtung; dieser Gedankengang hört folgerichtig bei der Entrechtung aller auf, die nicht auf das nationalsozialistische Programm schwören.“[8]

All die Warnungen des Reichsbanners müssen immer vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass die Nationalsozialisten 1929 weder regierten, noch die stärkste Kraft im Reichstag waren. Einige Beobachter sahen damals sogar bereits den Höhepunkt ihrer Zustimmung erreicht. 

Aufklärung verständlich machen

Die politischen Forderungen der Nationalsozialisten werden vom Reichsbanner jeweils so kommentiert, dass daraus auch die Folgen einer möglichen Umsetzung ersichtlich werden. Es werden praktische Beispiele geliefert, um die Analyse verständlicher zu machen. So wird im dritten Kapitel zur Einwanderungs- und Ausweisungspolitik der NSDAP dargelegt, welche Folgen die Forderung nach Ausweisung aller Ausländer bei zu hohen Arbeitslosenzahlen in Deutschland haben könnte:

„Die Folgen einer nationalsozialistischen Ausweisungspolitik wären: Abbruch aller Verhandlungen über Wirtschaftsfragen, Zurückziehung zahlloser Aufträge ausländischer Firmen. Rohstoffe zur Verarbeitung in deutschen Werften kämen nicht mehr aus dem Ausland. Infolgedessen würden deutsche Fabriken stillgelegt werden müssen. Ergebnis: Arbeitslosigkeit in nie erlebtem Ausmaße. Dieses einzige Beispiel bis zum Schluss durchgeführt zeigt, wohin uns ein im nationalsozialistischen Programm nur beiläufig erwähnter Grundsatz bringen müsste.“[9]

Im Abschnitt über das Verhältnis der NSDAP zum Staat macht das Reichsbanner anhand mehrerer Programmpunkte und Aussagen von Nationalsozialisten wie Rosenberg deutlich, dass diese die „geschworenen Feinde des gegenwärtigen Staates“[10] sind. Die Art und Weise, wie die Reichsbanner-Autoren die Balance zwischen komplizierten Zusammenhängen und stellenweise einfacher und an anderer Stelle komplexer Sprache halten, zeigt auch den Massencharakter und den Anspruch auf: Die Schrift ist an alle Gliederungen des Verbandes und Schichten in der Bevölkerung gerichtet. Auch der Charakter des Reichsbanners, als ein Verband, der gegen die Feinde der Republik jeglicher Couleur kämpft, wird klar deutlich, als es um die gemeinsamen Aktionen von Nationalsozialisten und Kommunisten geht. Dies kommt im zweiten Teil der Schrift zur Sprache, in der es von der „Theorie“ nun in die „Praxis“ übergeht.

„Die Nationalsozialisten behaupten, dass der Marxismus der Todfeind des Nationalsozialismus sei. Mit den Kommunisten aber haben sie sich angefreundet, weil sie glaubten, deren zerstörerische Tätigkeit für sich zum Schaden des Reiches ausnutzen zu können.“[11]

In der Schrift werden so fortlaufend Praxisbeispiele benannt, die häufig vorführen, wie heuchlerisch die Nationalsozialisten agitieren und wie scheinheilig ihre Rhetorik funktioniert. Die Schrift schließt mit einer ernsten Zusammenfassung, die einerseits das Elend und die wirtschaftliche Notlage im Deutschen Reich bestätigt, den Nationalsozialisten aber abspricht wirkliche Lösungen zu haben. Das Reichsbanner betont die Wichtigkeit demokratischer Diskurse, geißelt einfache propagandistische Parolen der Nationalsozialisten und schließt mit mahnenden Worten über den Antisemitismus ab.

„Man geht auch einer Klarstellung aus dem Wege, indem man in den Versammlungen Gegner nicht zu Worte kommen lässt und durch die S.A.-Kommandos hinauswirft. Auf die Juden häuft man Verleumdungen und Beschimpfungen. Aber in die Versammlungen lässt man sie nicht hinein, weil man weiß, dass sonst ihre Lügen widerlegt würden. Treue deutsche Aufrichtigkeit stellen die Nationalsozialisten immer wieder in den Mittelpunkt ihres Erneuerungsprogramms. Solches Verhalten aber ist nicht deutsch, treu, aufrichtig.“[12]

Insgesamt wurden wie eingangs erwähnt vier Auflagen gedruckt, zudem mit „Die Partei der Phrase“ 1930 eine weitere, darauf aufbauende Schrift veröffentlicht, die im Teil II dieser Serie behandelt wird.

Fazit

Die Schrift „Das wahre Gesicht des Nationalsozialismus“ ist in vielerlei Hinsicht beeindruckend. Einerseits zeugt sie vom großen demokratischen Aufklärungsgedanken des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, dem Wunsch nach Verständlichkeit politischer Inhalte und gleichzeitig von dem tiefen und umfassenden Wissen über die Absichten der Nationalsozialisten. Das Reichsbanner kannte die NSDAP, ihre Rhetorik, ihre Akteure und ihre Ziele. Die Schrift liest sich vor dem Hintergrund, dass sie vier Jahre vor der Machtergreifung und dem Aufstieg der Nationalsozialisten erschien, besonders bedrückend. Leider sind viele der Punkte eingetreten: der Rassenwahn, die Gewalt gegen politische Gegner und der Krieg. Die Schrift bleibt Mahnung und Auftrag zugleich, Gegner der Demokratie zu erkennen, zu benennen und durch Aufklärung auf ihre demokratiefeindlichen Ziele aufmerksam zu machen.

 

Die gesamte Schrift ist online abrufbar unter (Dokument „RB 1737“): https://reichsbanner-geschichte.de/reichsbanner-geschichte/dokumente/


[1] Aus der vereinseigenen Liste „Unsere Toten“ von 1924 bis 1933.
[2] Michael Wildt (2012): Aufstieg. In: Nationalsozialismus: Aufstieg und Herrschaft 314. Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn.
[3] Aus der vereinseigenen Liste „Unsere Toten“ von 1924 bis 1933.
[4] Das wahre Gesicht des Nationalsozialismus (1929): Bundesvorstand Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. e.V. Magdeburg. S. 5f.
[5] Ebd.
[6] Ebd. S. 11.
[7] Ebd.
[8] Ebd. S. 12f.
[9] Ebd. S. 14f.
[10] Ebd. S. 16.
[11] Ebd. S. 52.
[12] Ebd. S. 57.

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